Als einzige deutsche Piloten machten sich die drei TVBler Heinrich Bretz, Peter Nägele und Jörg Nuber mit ihren Mädels Tina Schwer, Anke Failenschmied und Melle Tcaciuc Ende September für zweieinhalb Wochen auf in den indischen Ozean. Mit dem TGV gings nach Paris und von dort mit der einheimischen Fluglinie Air Austral nach La Réunion. Als PWC Teilnehmer hatten wir alle zusätzlich zu den 25kg Gepäck und 10kg Handgepäck nochmal 20kg Sportgepäck umsonst bekommen. Also insgesamt beeindruckende 330kg Kilos, die wir für allerlei mehr oder weniger sinnvolle Reiseausrüstung nutzten (Daunenjacken bei 35°C, mindestens ein Laptop pro Person und Peter hatte zwar keine Taucherbrille, aber drei Paar Flossen zum Wechseln dabei...)
Die kleine Insel La Réunion ist die Nachbarinsel von Mauritius und liegt vor Madagaskar an der Südspitze von Afrika. Sie gehört bis heute zum französischen Staat und es ist witzig, mitten in der Südsee mit dem Personalausweis einreisen zu dürfen, mit Euro zu bezahlen und überall französische Autonummern um sich zu haben. Im Großen und Ganzen besteht sie aus zwei Vulkanen, dem über 3.000 m hohen Piton de la Neige und dem etwas niedrigeren Piton de la fournaise, der als aktivster Vulkan der Welt gilt. Diesem Ruf folgend, brach er auch pünktlich zwei Wochen vor unserer Ankunft aus. Natürlich haben wir ihn gleich mal bestiegen und waren von der unwirklichen Mondlandschaft tief beeindruckt. Zusammen mit unseren Mädels hatten wir für die Woche vor dem PWC einen Bungalow am Hang über dem Meer unweit des Hauptfluggebietes gebucht und für die PWC Woche eine tolle kreolische Villa direkt am Meer. So untergebracht konnten wir uns in der ersten Woche gut warm fliegen und von dort aus die Insel erkunden.
Geflogen wird auf La Réunion, ähnlich wie auf den Kanaren, meistens auf der Leeseite der Dreitausender, um den starken östlichen Winden auszuweichen. Fast jeden Morgen zeigt sich der Himmel in strahlendem Blau, aber bereits am Vormittag entwickeln sich im Landesinneren große Thermikwolken, die der Ostwind über die Fluggebiete der Westseite weit hinaus ins Meer schiebt. Trotz dieser gewaltigen Abschattungen bietet die Westseite normalerweise einen mehr oder weniger starken Seewind, der aus seitlichen Rotoren um die kreisrunde Insel gespeist wird und sanfte Thermik. Allerdings beschränkt sich der fliegbare Bereich auf etwa 30 km. Die Basis ist in der Regel nur um die 1.000 m und sinkt im Laufe des Tages sogar meist noch ab. In der ersten Woche hatten wir allerdings das Glück, mit 1.600 m außergewöhnlich hoch fliegen zu können. Extra für den PWC wurde der Startplatz von Saint Leu noch hergerichtet und mit großen Grasmatten, einer betonierten Zuschauertribüne und sauberen Toiletten versehen. Der normale Landeplatz am Strand ist ebenfalls sehr schön, nur war uns nicht ganz klar, wie hier ein Wettkampfpulk gleichzeitig mit den üblicherweise mindestens 20 Tandems landen sollte. Wir sahen auch sofort, dass Außenlandungen hier nicht so einfach sind. Überall gibt es Stromleitungen, Häuser, Urwald und Zuckerrohrfelder. Alles was grün ist, sind keine gemütlichen Landewiesen, sondern brusttiefe Sumpfgebiete. Und alles was nicht grün ist, hat Stacheln.
Heinrich und ich hatten unsere brandneuen Zenos im Packsack und Peter seinen bewährten Enzo 2. Die Spannung war enorm, ob der Zeno dem ihm vorauseilenden Ruf als derzeit leistungsfähigster und dazu noch verhältnismäßig „einfach“ zu fliegender Zweileiner gerecht werden würde. Um es vorweg zu nehmen: Der Zeno dürfte der beste Schirm sein, den Ozone je gebaut hat. Er ist tatsächlich so einfach zu fliegen wie ein Dreileiner mit 7er Streckung und geht im Speed, Gleiten und Steigen mindestens so gut wie die bisherigen Wettkampfflaggschiffe Enzo 2 und Boom 10. Am Samstag wurde, wie beim PWC üblich, ein Trainingstask ausgeschrieben. Etwa 30 Piloten sind dazu angetreten und Peter hat den Task dann auch gleich furios gewonnen, dicht gefolgt von Yoshiki Kuremoto aus Japan und mir auf dem dritten Platz. So konnte der PWC also los gehen.
Der erste offizielle Durchgang am Sonntag war gleich der beste Tag des ganzen Wettbewerbs für uns etwa 80 Piloten. Die Thermik war stärker als sonst und die Bedingungen waren laut Locals für Réunion mit Steigwerten um die 5 Meter geradezu episch. Die 70km waren aber dennoch nicht ganz einfach zu bewältigen. Das Fliegen auf Réunion ist sehr technisch und taktisch, da man eigentlich überall fliegen kann und weder dem Untergrund noch den Wolken wirklich eindeutige Linien entnommen werden können. Bei den normalerweise schwachen Bedingungen mit sehr viel Gegenwind zählt jeder Höhenmeter und die Verlockung ist groß, ein bisschen in die Wolken hineinzukurbeln. Um diesem unsportlichen Verhalten einen Riegel vorzuschieben, gab es gleich beim Briefing eine klare Ansage: Wer in die Wolken fliegt, bekommt 0 Punkte für den Durchgang. Beim zweiten Verstoß wird er vom gesamten Wettbewerb disqualifiziert. Entsprechend vorsichtig waren die meisten dann auch unterwegs. Ich konnte nach einem schlechten Start von ganz hinten zusammen mit dem Schweizer Gin Teampiloten Michi Sigel bis in den Führungspulk aufholen und war kurz vor Ende sogar in Führung. Allerdings konnten ein paar besonnene Piloten dem starken Gegewind im Endanflug mit mehr Höhe ausweichen und so wurde es für mich der 10. Platz, für Heinrich der 21. und für Peter den 33. Ein sehr guter Auftakt.
Die nächsten drei Tage waren wettertechnisch nicht mehr ganz so gut. Die Thermik war sehr schwach und es war recht windig, so dass viele Piloten noch vor dem Start oder gleich danach abgesoffen sind. Aber auch an diesen drei Tagen gelang es immer wieder einigen, ins Ziel zu fliegen. Auffällig oft dabei waren die Locals von Réunion, woran man sieht, dass die dortige Fliegerei schon recht speziell ist. Meistens fliegt man ganz knapp über den flächen Hängen mit viel Gas gegen den Wind voran. Eingedreht wird nur, wenn es unbedingt sein muss, da man beim Kurbeln der superschwachen Bärte extrem stark vom Wind versetzt wird. Vor dieser hangnahen Gaserei hat man als Alpenflieger zuerst einmal ordentlich Respekt und muss erst einmal Vertrauen in die doch recht laminare Luft mit geringen Turbulenzen fassen. Hier sind dann auch die Wettkampfschirme ganz klar im Vorteil, da sie gegen den Wind jeden Lupfer in Höhe umsetzen, während Serienschirme schnell tiefer kommen. Der Zeno war hierbei der absolute Hammer und konnte mit seiner Kombination aus hervorragendem Aufgleiten gegen den Wind und extrem hoher Stabilität und gefühlter Sicherheit auftrumpfen.
Im Task 2 konnten sich Heinrich und ich um den 30. Platz rum positionieren, Peter war leider vor dem Start schon am Boden. Ich hatte im Flug allerdings schon massive Grippeanzeichen. So ein Mist, warum werde ich ausgerechnet beim PWC immer krank? Nach der Landung verkroch ich mich dann erst mal für einen Tag im Bett und am Pool und verzichtete darauf, den 3. Task mitzufliegen. In diesem Durchgang konnte sich Peter dann einen hervorragenden 14. Platz auf einem schwierigen Kurs ganz in den Süden der Insel erkämpfen.
Nachdem das Fieber etwas nachgelassen hatte, meinte ich, den 4. Task vollgestopft mit Medikamenten mitfliegen zu können. Ein fataler Irrtum. Bereits kurz nach dem Start zeigte sich überdeutlich, was es bedeutet einen anspruchsvollen Schirm im Wettkampf mit von Medikamenten gedämpften Sinnen fliegen zu wollen. Der nach einigen völlig überraschenden Klappern schnell eingeleitete „Notlandemodus“ brachte mich in einem abgeernteten Zuckerrohrfeld auf den Boden und meine Melle holte mich gleich mit dem Mietwagen ab und brachte mich zurück ins Lazarett. Ich nahm mir fest vor, in so einem Zustand nie wieder zu starten.
Die fliegerisch extrem anspruchsvolle Lage mit geringer Thermik und starken Winden gipfelte dann im 5. Task. Heinrich kam damit von allen Piloten noch am besten zurecht und konnte sich die Führung erkämpfen. Da die Lage jedoch zunehmend kritisch wurde, stoppte die Wettkampfleitung den Task. Leider war die Minimumzeit wegen drei Minuten noch nicht erreicht und so wurde der Task nicht gewertet. Großes Pech für den führenden Heinrich, Glück für mich, der ich krank im Bett lag. Wobei der Wettbewerb für mich durch die grippebedingten Ausfalltage ohnehin gelaufen war.
Schließlich kam mit dem Samstag der letzte Durchgang und wir waren wieder alle drei gemeinsam und relativ gesund am Start. Der Wind war deutlich schwächer als an den Vortagen, dafür war die Thermik auch extrem schwach. Sämtliche Winddummys, Freiflieger und Tandems soffen gleich nach dem Start ab. Selbst unsere Mädels, die an den Tagen zuvor als Freiflieger meist auch bei den schwachen Bedingungen gut aufdrehten, konnten an diesem Tag nicht oben bleiben. So wurde der Racebeginn dann auch Stunde um Stunde verschoben. Schließlich wurde Mittags ein kurzes 40km Zick-Zack-Race mit einem Endanflug mit dem Wind nach Norden gestartet. Nachdem wir es zum Start alle mühsam an die Basis knapp über Startplatzhöhe geschafft hatten, vernichteten wir im Race zunehmend Höhe. Nach etwa 20 km kämpften fast alle Piloten knapp über Grund die Hänge entlang soarend. Die Autobahn war schließlich die einzige verbliebene, schwache Abrisskante und es kam zu viel Gehupe der Autofahrer, als ein PWC-Pulk nach dem anderen im Tiefflug die Autobahn entlang soarte. Ein Pilot hat dabei sogar eine Autobahnbrücke unterflogen.
Irgendwie gelang es Heinrich und mir, plötzlich im Führungspulk mit fünf anderen Piloten zu sein. Wir konnten ein paar gute Thermiken finden und vor dem langen Endanflug bis an die Wolke aufdrehen. Ich war recht hoch und in etwa an dritter Position, als die anderen unter mir los flogen. Dummerweise hatte ich zu viel Höhe gemacht und wurde in die Wolke gezogen. Zwar nur 30 Meter, aber die Regel dafür ist eindeutig: Ich musste deutlich abspiralen, um keine Vorteile aus dem Wolkenflug zu haben. Mit Vollgas gings dann ins Ziel, wo ich als 7. ankam und Heinrich mit seinem sensationellen 5. Platz um den Hals fallen konnte. Kurz darauf kam auch Peter ins Ziel und so konnten wir einen für den TVB genialen PWC Abschluss feiern.
Gewonnen hat den PWC Michael Küffer aus der Schweiz vor einem 18-jährigen Local aus La Réunion. Heinrich wurde 23., ich 30. und Peter 34.
Jörg Nuber
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