TV Bissingen bei der Deutschen Meisterschaft
Vom 8. bis 16. August fand die 6. internationale Deutsche Meisterschaft im Gleitschirmfliegen in Lienz statt. Vom TV Bissingen nahm Jörg Nuber daran teil. Peter Ertle und Patrik Ruber waren von den Albfliegern auch noch dabei. Rund 85 Piloten hatten eine Woche lang bei herrlichem Wetter viel Spaß in Kärnten - äh, nein, in Osttirol, denn zwischen Greifenburg und Lienz liegt die Grenze dieser Bundesländer. Dieser Umstand hatte tatsächlich Relevanz: Am ersten Tag bekamen wir die potenziellen Wendepunkte auf unser GPS. Diese lagen alle westlich und nördlich von Lienz. Auf die Frage hin, was mit dem legendären Mölltaldreieck wäre und wohin wir denn bei Westwind fliegen würden, hieß es: „Egal wohin, aber nicht zu den Kärntenern.“ „Aber wir sind doch Deutsche!?“ „Egal, Ihr fliegt nach Westen, basta“. Mit dem Lienzer Verein als Ausrichter war in dieser Hinsicht also nicht zu spaßen.
Nun, im Endeffekt hatte es immer Nordwestwind und wir konnten rund um Lienz vier schöne aber anspruchsvolle Tasks fliegen – ohne die kärntener Grenze auch nur in Sichtweite zu bekommen.
Der Wettkampf war hochkarätig besetzt, die gesamte Deutsche Elite war lückenlos am Start. Und ich. Keine besonders beruhigende Vorstellung. Außerdem gab es noch eine kleine, internationale Fraktion (es war ja eine Open).
„Beim Wettkampffliegen startet man nicht zu früh. Man wartet, bis die ersten einen guten Bart gefunden haben, startet dann im Hauptpulk und fliegt stressfrei mit, um bei Fensteröffnung dann ganz gemütlich an der Basis vor dem Startzylinder zu kreisen und den Countdown abzuwarten“ – so die Anweisung des Überfliegers Uli Prinz an die Rookies. Gesagt, getan. Nur hab ich leider vergessen, dass ich immer erst mal eine viertel Stunde brauche, bis ich überhaupt gescheit fliegen kann. Im ersten Task war ich bei Fensteröffnung also nicht an der Basis sondern irgendwo ganz tief und ganz weit vom Startzylinder weg. Mit einer motivierten Aufholjagd bis ins Ziel gelang es mir, den Schaden noch zu begrenzen. Am zweiten Tag bin ich dann extra früh und ehrgeizig gestartet, mit dem Ergebnis als einer der Höchsten an der Basis und exakt am Rand des Startzylinders zu sein. Allerdings acht Minuten vor Beginn. Acht Minuten später war ich dann wegen irgendwelcher unfassbarer Sinkzonen wieder da, wo ich hingehöre – ganz hinten und unten. Die restlichen Tage bin ich schicksalsergeben irgendwann gestartet, wenn ich zufällig an der Reihe war.
Auch sonst gabs Überraschungen. Zum Beispiel war ich mal mit zwei absoluten Weltelitepiloten gaaaanz weit oben, über der ersten und zweiten Basis, knapp unter der Dritten (Nationalmannschaftspilot T.S.: „Du brauchst immer Bodensicht. Der Winkel ist aber nicht definiert. Du musst nur Boden sehen.“). Nach dem Start haben wir uns also durch die Wolkenetagen gearbeitet, gewaltige Sink- und Steigzonen mitgenommen, sind mit geweiteten Augen und zusammengepressten Arschbacken auf eine waschmaschinenartige Wolkenformation zugeflogen (das Wort „Rotor“ habe ich aus Motivationsgründen vermieden). Jedenfalls waren wir, also die Weltklassepiloten und ich, nach der härtesten Viertelstunde meiner Gleitschirmkarriere, tja, wo wohl: Sehr tief und sehr weit hinter dem Rest des Feldes. Strafe muss sein. Die anderen begannen sofort mit der Vollgasaufholjagd. Ich schaltete in stummer Verzweiflung auf XC-Style und flog langsam aber hoch hinterm Rest her. Es blieb dann doch einer nach dem anderen irgendwo auf der Strecke und am Ende war ich wieder im Ziel.
Am letzten, entscheidenden Tag war ein 80 km FAI mit den Wendepunkten Matrei, Sillian, Lienz ausgeschrieben. Es gab zwei Varianten. Entweder die direkte Talquerung auf die Nordseite von Matrei Richtung Sillian (Locals: „Das geht heut nie“) oder einen großen Umweg übers sichere Zettersfeld. Nachdem der Führungspulk die Nordseite versuchte und dort keinen Pups fand, war ich auf der „sicheren“ Seite gut dabei. Plötzlich war ich der höchste und sehr weit draußen im Tal an der Basis. Ein Gedanke durchfuhr mich: „Wenn ich jetzt quere und den Wendepunkt direkt schaffe, bin ich erster. Besser als all die Protos. Dann lass ich mir den Tasksieg nicht mehr nehmen.“ Allerdings erinnerte ich mich an Pepes Cockpit-Aufkleber: „Keine Alleingänge, Pepe!“. Doch im Grunde meines Herzens bin ich vielleicht doch ein Zocker. Ganz allein querte ich das Tal mit Halbgas gegen den Wind und nahm Kurs auf Sillian. Leider kommt Zocken wohl von Verzocken. Ich erreichte die andere Talseite ein paar Meter unter Grat im Lee. So musste ich die ganze Grete auf der Leeseite hinausgleiten. Die Flüche, die durchs Tal schallten, hat man sicher in ganz Lienz gehört. Sie wurden höchstens vom Gelächter derer übertönt, die weiter in komfortabler Höhe auf der Südseite unterwegs waren. Als ich endlich am Hochstein war, waren viele vorbeigezogen. Ziemlich geladen über meinen Leichtsinn bretterte ich so schnell es ging nach Sillian und von dort im ununterbrochenen Vollgas (wusste gar nicht, wo man nach ner knappen Stunde Vollgas überall Krämpfe haben kann) über zwei Wendepunkte bis Lienz auf den Landeplatz zurück. Das sensationelle Speed-Gleiten (für ein Seriengerät) meines neuen Mantras ließ mich dabei noch einige Plätze gut machen.
Irgendwie ging das jeden Tag so. Ich flog teilweise gehirnamputiert und hatte immer das Gefühl ganz hinten zu sein. Aber jedes Mal war ich früher oder später im Ziel (Hartnäckigkeit rulez!!) – meistens sogar tausend Meter darüber, was etliche Plätze kostete und Lacher der alten Hasen einbrachte. Von den anderen Piloten hatten jedoch viele in einem der Tasks einen Absitzer. So ergab es sich, dass ich am Ende tatsächlich den ersten Platz in der deutschen Serienklasse hatte (Overall 14.). Ein Italiener war noch vor mir, aber der gilt ja in D nicht. Rainer Braun hatte mit ganz knappem Abstand den 2. (Overall 15.). Patrick landete auf dem 25. und Peter auf dem 44.
Offiziell gibt es keinen Deutschen Meister in der Serienklasse (also bis DHV 3 Schirme), nur in der offenen (Wettkampfprotos) und so habe ich auch keinen Pokal bekommen. Aber das macht nichts, ich trinke ohnehin lieber aus normalem Geschirr. Schizophren ist es allerdings schon, wenn man bedenkt, was für ein Sicherheitstrara der DHV macht und dauernd gegen die bösen Wettkampfschirme wettert – und dann bei der von ihm veranstalteten DM die Serienschirme nicht mal wertet.
Was soll’s – schön war es allemal und das Wettkampffliegen mit all den guten Jungs und Mädels bringt einen fliegerisch wirklich weiter. Und Unfälle gabs auch keine.
Jörg Nuber